Blogreihe: Schmerz verstehen – Bewegung neu denken

Artikel: Wenn das Gehirn den Schmerz „behalten“ hat – Wahrnehmung bei chronischen Schmerzen

Warum tut der Rücken weh, obwohl medizinisch „alles okay“ ist?

Viele Patientinnen und Patienten mit chronischen oder wiederkehrenden Rückenschmerzen kennen das: Schon kleine Belastungen lösen Schmerz aus, während Bewegungskontrolle und Körperwahrnehmung im betroffenen Bereich eingeschränkt sind. Wie kann das sein?

Eine Forschungsgruppe der Universität Münster hat diese Frage untersucht – und Überraschendes entdeckt. In einer Studie, veröffentlicht im renommierten Fachjournal PAIN, zeigte man Menschen mit chronischen Rücken- oder Schulterschmerzen sogenannte Lichtpunktfiguren. Diese Videos reduzierten Personen auf leuchtende Punkte, die verschiedene Bewegungen ausführten – etwa Heben oder Tragen.

Die Aufgabe der Teilnehmenden: das Gewicht der bewegten Objekte einschätzen.

Das Ergebnis: Gesunde Personen konnten die Gewichte korrekt beurteilen. Personen mit Rückenschmerzen jedoch überschätzten die Belastungen, die den Rücken betrafen – sie hielten die gehobenen Gewichte für schwerer, als sie tatsächlich waren.

Was bedeutet das?

Chronischer Schmerz verändert nicht nur, was wir fühlen, sondern auch, wie wir Bewegungen wahrnehmen – bei uns selbst und sogar bei anderen. Forscher vermuten, dass bestimmte Areale im Gehirn (insbesondere im frontalen und parietalen Cortex) dauerhaft anders „abgestimmt“ sind.

Man könnte sagen: Das Gehirn hat den Schmerz gelernt – und behält ihn bei.

Was heißt das für die Therapie?

Solche Erkenntnisse bestätigen, dass chronischer Schmerz kein reines Körperproblem ist, sondern ein Zusammenspiel von Körper und Gehirn.

Moderne Therapiekonzepte wie Graded Exposure oder gezielte Bewegungsschulung nutzen genau das: Sie helfen, das Nervensystem schrittweise zu „desensibilisieren“.

Ziel ist es, die Belastbarkeit wieder zu steigern – nicht, weil der Körper „kaputt“ ist, sondern weil das Gehirn neu lernen darf, Belastung nicht sofort als Gefahr zu bewerten.