Blogreihe: Schmerz verstehen – Bewegung neu denken

Artikel: Von Schmerz und dem Leiden

Schmerz ist unangenehm – das weiß jeder. Aber Leiden geht darüber hinaus. Manchmal sprechen wir von „Schmerz erleben“ – in anderen Fällen von „an Schmerzen leiden“. Klingt ähnlich, ist aber nicht dasselbe.

Während Schmerz eine körperliche oder sensorische Erfahrung ist, beschreibt Leiden das emotionale, soziale und existenzielle Erleben, das durch Schmerz ausgelöst wird. Schmerzen können die Lebensqualität, die eigenen Pläne und die persönliche Integrität bedrohen. Mit anderen Worten: Schmerz betrifft nicht nur den Körper, sondern die ganze Person.

Der Mediziner Eric Cassell formulierte es 1982 so:

„Leiden ist der Zustand schweren Leids, der durch Ereignisse ausgelöst wird, die die Integrität der Person bedrohen.“

Diese Definition unterstreicht, dass Schmerz mehr ist als ein Symptom – er kann das gesamte Dasein beeinflussen.

Warum ist das für die Behandlung wichtig?

Viele Therapien konzentrieren sich darauf, den Schmerz zu reduzieren. Doch allein Schmerzfreiheit reicht nicht immer aus, um das Leiden der Patient:innen zu lindern.

Aktuelle Forschung zeigt, dass schmerzbezogenes Leiden multidimensional ist. Es umfasst unter anderem:

  • Soziale Dimension – wie Beziehungen oder Unterstützung betroffen sind
  • Körperliche Dimension – das direkte Empfinden von Schmerzen
  • Persönliche Dimension – Selbstbild, Autonomie, Identität
  • Spirituelle Dimension – Sinnfragen oder Glaubensperspektiven
  • Existentielle Dimension – Bedrohung des eigenen Daseinsgefühls
  • Kulturelle Dimension – Erwartungen und Werte, die Schmerz prägen
  • Kognitive Dimension – Gedanken, Sorgen und Bewertungen
  • Affektive Dimension – Gefühle wie Angst, Frustration oder Trauer

Was bedeutet das für Patienten und Patientinnen?

  • Ganzheitliche Behandlung: Schmerztherapie sollte die ganze Person berücksichtigen, nicht nur das Symptom.
  • Individuelle Ziele: Schmerzfreiheit ist ein Teilziel, aber nicht das alleinige Ziel. Auch Lebensqualität, Beweglichkeit, psychisches Wohlbefinden und soziale Teilhabe sind zentrale Aspekte.
  • Therapieplanung: Therapeut:innen können den Erfolg einer Intervention besser einschätzen, wenn sie die vielfältigen Dimensionen des Leidens berücksichtigen.

Kurz gesagt: Schmerz ist ein Signal, Leiden ist die Erfahrung, die daraus entsteht. Wer beides versteht, kann gezielter und menschlicher behandeln.